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Vorreformatorische
Zeugen am Wegesrand
Das aufklarende Wetter am Spätnachmittag
des 18. Juni 2010 nutzten einige Heimatfreunde aus Marktleuthen
um zusammen mit Harald Stark, dem 1. Vorsitzenden des dortigen
Arbeitskreises für Heimatforschung, nach steinernen Zeugen
aus vorreformatorischer Zeit am Wegesrand zu suchen. Genauer gesagt
waren Steinkreuze, Kreuzsteine und Bildstöcke im einstigen
Sechsämterland die Ziele der Rundfahrt.
Den Auftakt der Rundfahrt bildete das Steinkreuz in Großwendern,
das Rainer H. Schmeissner 1980 in seiner Schrift "Steinkreuze
im Sechsämterland" (Beiträge zur Geschichts- und
Landeskunde des Fichtelgebirges, Heft 2, Wunsiedel 1980, S. 10)
noch als ziemlich ramponiert an einer Scheune lehnend beschrieben
hat. Heute steht es, ordentlich aufgestellt und restauriert, in
einer Weggabel gegenüber der Scheunen am südlichen Ortseingang.
Der örtlichen Überlieferung nach soll hier 1430 ein plündernder
Hussit tot vom Pferd gestürzt sein. Eine andere Sage berichtet
von einem tödlichen Verkehrsunfall in der Nähe des Steinkreuzes.
Tatsächlich aber stellen die meisten Steinkreuze als sogenannte
Sühnekreuze steinerne Rechtsdenkmäler und zugleich Zeugnisse
spätmittelalterlicher Religiosität dar. Mit der Sühne
für einen verübten Totschlag war vor der Durchsetzung
der peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. aus dem Jahr
1532 in der Regel die Setzung eines solchen Sühnekreuzes verbunden.
Es sollte, an einer frequentierten Straße in der Nähe
des Tatorts stehend, die Vorüberkommenden zu einem Gebet für
die Armen Seelen im Fegefeuer im Allgemeinen, oder für den
hier ums Leben gekommenen im Speziellen animieren. Als Beleg zitierte
Harald Stark einen vom Weißenstädter Chronisten Christian
Erdmann Pöhlmann überlieferten Sühnevertrag aus dem
Jahr 1504, dem zufolge die Täter für den Erschlagenen
unter anderem ein rund 2 Meter hohes und 1,50 Meter breites Steinkreuz
als "Marterzeuge" aufstellen lassen mussten, welches heute
leider verschollen ist.
Nach einem kurzen Zwischenstop in Spielberg, wo
der am Ortseingang gegenüber dem Wasserhochbehälter stehende
Torso eines Steinkreuzes kaum noch als Überrest eines solchen
erkennbar ist, ging es weiter nach Schönwald.
Dort, auf dem Pfaffenberg, rechts an der alten Straße nach
Rehau, befindet sich wohl das geheimnisvollste Flurdenkmal im Landkreis
Wunsiedel. Es handelt sich um einen Kreuzstein. Im Gegensatz zum
Steinkreuz, bei dem ein Steinblock in Kreuzesform zugehauen wurde,
ist beim Kreuzstein das Kreuz in eine Steinplatte oder Felsblock
eingemeißelt. Das Außergewöhnliche am Schönwalder
Kreuzstein ist die Komplexität und Reichhaltigkeit der darauf
abgebildeten Symbolik, an deren Deutung sich schon Generationen
von Forschern die Zähne ausgebissen haben. Schmeißner
(S. 25 ff.) schreibt: "Auf dem ebenen Vorderfeld befindet sich
ein eingehauenes Wiederkreuz, auf zwei Halbbögen (Bogensockeln)
ruhend, eingelassen in ein radförmiges Gebilde. Weitere senkrechte
und waagrechte Linien lassen erkennen, daß diese wiederum
ein (lateinisches) Kreuz ergeben, das seinerseits in einen weiteren
Kreis eingefasst ist (Ringkreuz). Die Rückseite des Steines
prägt ein einfacheres Motiv, jedoch wiederkehrende Formen:
Kreuz auf Halbbogen (Bogensockel), eingefaßt von einem nach
vier Seiten hin unterbrochenen Kreis. Beide Seiten tragen überdies
Einritzungen, die zu vielerlei Vermutungen Anlaß gaben. Zwei
befinden sich auf der Vorder- (Hammer und Zange), eine auf der Rückseite
(Hammer)."
Der Sage nach sollen sich in der Nähe dieses Kreuzsteins
zwei Müllerburschen gegenseitig umgebracht haben, die bei
einem zweiten, einfacher gestalteten, aber ebenfalls mit einem
von einem Ring eingefassten Wiederkreuz versehenen Kreuzstein
begraben wurden. Hans Wohlrab (Schönwalder Heimatbuch, Schönwald
1968, S. 40) sieht die Entstehung der Kreuze im Zusammenhang mit
der Erwerbspolitik des Klosters Waldsassen, welches 1316 einen
Hof in Schönwald übereignet erhielt (S. 33), oder gar
mit der Schenkung des Schönwalder Waldes durch Markgraf Diepold
III. um 1125/33 an das Kloster Benediktbeuren. In beiden Fällen
wären die Kreuzsteine als Grenzmarken für den klösterlichen
Besitz anzusehen. Diese These wird durch die Flurbezeichnung "Pfaffenberg"
- dem Standort des großen Kreuzsteins - und dem Fund eines
weiteren Kreuzsteins unweit des Nebensteins im Jahr 1988 unterstützt;
der "Nebenstein" und der neu gefundene Kreuzstein liegen
direkt an einer auch heute noch gültigen alten Waldgrenze.
(Hans Bucka: Die drei Kreuzsteine im Schönwald, in: Steinkreuzforschung,
Sammelband 16/1989, S. 41 f.).
Wenige Kilometer östlich von Schönwald, in Reichenbach
an der Straße nach Lauterbach, steht ein weiteres Steinkreuz.
Auch hier sollen sich der Überlieferung nach zwei Müllerburschen
gegenseitig ums Leben gebracht haben. Das Steinkreuz steht am Wegrand
inmitten einer gepflegten kleinen Anlage. Das nur ein kleiner Teil
der früher vorhanden gewesenen Steinkreuze auf uns gekommen
ist, beweist ein Blick in die Chronik des Selber Magisters Paul
Reinel aus dem Jahr 1612, der damals in der Umgebung von Selb
nicht weniger als 14 Steinkreuze zählte. Er schreibt:
"Endlich mus ich auch gedencken der grabmal und stein, so
ausser dem marck auff allen straßen zu sehen siend, dabei
abzunemen, das vor alters nicht allein viel todschlag muß
geschehen sein, sondern das auch die freund (= Verwandten) ihre
treu an den todten haben beweisen wollen, weil sie ihnen solche
stein, wie es ihm pabsthum gebreuchlich war, uffgerichtet haben.
Ezech. am 39. v. 15.
7 steinern creutz sihet man beim untern thor, deren eins theils
verfallen.
2 bei dem Lengenauer thor hart beim todtenhaus.
Eines auff der Ercknersreuter straß.
Zwei, wen man auff Weissenbach zu geht, eines bei der Unter-, das
ander bei der Mitlerweissenbächer strassen.
Zwei, wen man auff Schönwald zu geht, als eins am Vielitzer
berg und das ander uffm berg beim waldt ubern dorff Schonw(ald).
Dessen am Fielitzberg ist auch droben pag. ... gedacht worden, den
da ein bauer auff dem Pfaffenhoffe geackert und den encken, der
unrecht gefahrn, mit der reitten geworffen und umbs leben bracht,
ist von des knabens freunden der stein dahin verordnt worden."
(StadtA. Wunsiedel MS B 990, S. 154)
Von Reichenbach ging es über die Autobahn nach Schönlind
bei Wunsiedel. Hier steht das - nach Schmeißner S. 24 - größte
Steinkreuz des Sechsämterlandes. Im direkten Vergleich wird
ihm jedoch von dem weit wuchtiger wirkenden Marktleuthener Steinkreuz
sicherlich der Rang abgelaufen. Es zeigt auf seiner der Straße
abgewandten "Schauseite" zwei gekreuzte Metzger- oder
Fleischerhacken. Wen wundert es da, dass der Stein der örtlichen
Überlieferung nach an eine Bluttat zwischen zwei Metzgern erinnern
soll. Aber auch mit der Egerer Patrizierfamilie Heckel, die zwei
schwarze gekreuzte Äxte auf dem roten Wappenschild führte,
wurde das Steinkreuz schon in Verbindung gebracht. Natürlich
warfen wir auch noch einen Blick auf das unweit des Steinkreuzes
auf einer "Verkehrsinsel" stehende steinerne Ortsschild
von Schönbrunn: Auf einem granitenen Rundpfeiler ruht ein vierseitiges
Gehäuse aus dem gleichen Material mit zeltdachartig gestaltetem
Oberteil. Die Vorderseite des Gehäuses informiert durch folgende
Inschrift: Schönlind | Gemeinde | Bernstein | Amtsgericht |
Wunsiedel | Bezirksamt | Wunsiedel. Der Stein entstand also nach
der in Bayern 1862 vollzogenen Trennung von Justiz und Verwaltung.
Standen bisher vorreformatorische Steinkreuze und Kreuzsteine im
Zentrum der Betrachtung so richtete sich das Augenmerk im zweiten
Teil der Exkursion auf Bildstöcke als Zeugnisse
spätmittelalterlicher Religiosität in der Region. Bildstöcke
bestehen aus einem meist viereckigen Schaft, auf dem ein ebenfalls
viereckiges Gehäuse sitzt. Aus diesem Gehäuse sind in
der Regel vier Nischen herausgearbeitet, in denen sich Darstellungen
biblischer Szenen, manchmal aber auch eines Unglücksfalls oder
ähnliches finden. Oft sind Szenen aus der Leidensgeschichte
Christi dargestellt, weswegen diese Art des Flurdenkmals auch als
"Martersäule" oder kurz als "Marter" bezeichnet
wird. Im Gegensatz zum Steinkreuz, das - wie oben bereits erläutert
- oftmals als Sühnemahl errichtet werden musste, erfolgte die
Setzung von Bildstöcken oft in Erfüllung eines frommen
Gelübdes. In katholischen Gegenden finden sich solche "Martern"
noch in großer Zahl und besonders im Barock blühte die
Marter- oder Bildstockkultur in einer kaum zu überbietenden
Fülle von Details und Verzierungen. Bildstöcke stellen
Gebetsmale dar, an denen Gläubige bis zur Gegenwart gern ein
kurzes Gebet sprechen. Unseren Vorfahren dienten sie aber auch als
Schutzmale. "Als »heilige« Zeichen in der Ackerflur
schützten sie diese vor allen Einwirkungen des Bösen Feindes
(Teufels) und seines Anhanges." (Harald Fähnrich: Lebendiges
Brauchtum der Oberpfalz, Pressath 2007, S. 418).
Im Sechsämterland sind noch vier solcher Bildstöcke bekannt.
Allesamt sind sie jedoch heute ihres Bilderschmuckes beraubt. Sie
stammen aus vorreformatorischer Zeit, sind also alle mindestens
rund 500 Jahre alt. Ein Bildstock steht in Sinatengrün
bei Wunsiedel. Am Fuß des Schaftes sind eine Pflugschar und
ein Pflugmesser eingemeißelt. Die Kehle des Gehäuses
trägt die Jahreszahl 1515. Der heute im Chor der Kirchenruine
auf dem Katharinenberg bei Wunsiedel aufgestellte
Bildstock aus dem 15. Jahrhundert stand bis 1826 auf der steinernen
Brücke über die Röslau. Damals war die Brücke
so baufällig, dass ihn der Stadtmagistrat entfernen und auf
den Katharinenberg bringen ließ. Der dritte Bildstock steht
rund 5 Kilometer westlich von Wunsiedel bei Kühlgrün
Er ist stärker verwittert und weit nicht so aufwändig
gestaltet, wie sein Pendant auf dem Katharinenberg. Auch er dürfte
im 15. Jahrhundert entstanden sein; örtliche Überlieferungen
über das Motiv seiner Setzung fehlen ebenso wie in Wunsiedel.
Das letzte Ziel des schon fortgeschrittenen Tages waren die Schloppener
und Raumetengrüner "Wart" bei Kirchenlamitz. Beide
stehen auf dem Höhenrücken südlich von Kirchenlamitz
im Bereich einer schon im Mittelalter viel benutzten, in Kirchenlamitz
als "Fronweg" bekannten Altstraße. Die stark verwitterte
"Schloppener Wart" präsentiert sich als ein etwa
150 Zentimeter über dem Erdboden aufragender, vierseitiger
Granitpfeiler mit gefasten Kanten. Das nur wenig auskragende Gehäuse
hat auf allen vier Seiten kaum noch erkennbare, mit einem Giebel
abschließende Flachnischen und endet in einer kegelförmigen
Spitze. Wie Johann Heinrich Scherber 1793 in seinen "Denkwürdigkeiten
von Kirchenlamitz" berichtet, war in einer der Nischen früher
die Jahreszahl 1417 lesbar. Der Name Hans Klarner und die Jahreszahl
1650, die noch heute auf der Nordseite des Gehäuses lesbar
ist, erinnern wohl an eine Renovierung des Steindenkmals.
Die Raumetengrüner Warte wird von Scherber als die am besten
erhaltene der drei Kirchenlamitzer Wartsäulen beschrieben.
Heute steht an ihrer Stelle jedoch im Stil des frühen 19.
Jahrhundert profilierter Granitpfeiler. Die eigenartig geschweifte
Pfeilerbekrönung trug ehedem wahrscheinlich ein inzwischen
abhanden gekommenes eisernes Kreuz. Hannelore Menzel entdeckte
an der nach Westen gewandten Seite des Pfeilers die Initialen
JFK und auf der Nordseite die Jahreszahl 1803. Eine dritte Wartsäule,
die sogenannte "Pfarrwart" stand zu Scherbers Zeiten
in den Pfarrfeldern, dort "wo sich der Hallersteiner Weg
und der Fußsteig nach Schwarzenbach schneiden". Diese
Wartsäule ist heute spurlos verschwunden. Über die Entstehung
und Zweck dieser Wartsäulen berichtet Johann Heinrich Scherber:
"Daß diese Säulen Bezug auf einander haben, ist
wohl nicht zu bezweifeln. Aber die eigentliche Ursache ihrer Errichtung
weiß niemand anzugeben. Daß sie aus einem hohen Alterthum
stammen, zeigt ihr Anblick. Ja, ich trage keine Bedenken, ihre
erste Errichtung in die Zeit vor der Reformation zu setzen. Die
Sage erzählt, daß ein Vater, dessen 3 Söhne einstens
miteinander zu gleicher Zeit, jedoch aber nach einem anderen Orte
auswanderten, solche zu Andenken auf diejenigen Wege habe setzen
lassen, welche sie gezogen sind. ... Ich glaube vielmehr, daß
der Name Warten, den sie jetzt noch führen, den Schlüssel
selbst darreiche, um die Ursache zu finden, welche die Errichtung
dieser Säulen veranlaßte. Es waren damals in den katholischen
Zeiten Plätze, wo man bei jährlichen feyerlichen Umgängen
die Saaten zu weihen, stille stand, eine Messe las und den Segen
über die im Auge liegenden Fluren aussprach." (Harald
Stark: Von den Kirchenlamitzer Wartsäulen, in: Steinkreuzforschung,
Sammelband 25/1998, S. 35 ff.)
Ihren Abschluß fand die informative Rundreise indessen wieder
im Gasthof "Zum Goldenen Löwen" in Marktleuthen.
Harald Stark |
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Das Steinkreuz in Großwendern |
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Der Torso des Spielberger Steinkreuzes |
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Das Steinkreuz in Reichenbach |
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Das Steinkreuz in Schönlind |
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Der Bildstock auf dem Wunsiedler Katharinenberg |
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Der Bildstock in Kühlgrün
bei Tröstau |
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Die Schloppener Wart bei Kirchenlamitz |
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